Zwei Exkursionen in den Nationalpark Gran Paradiso
König Emanuele II. war ein leidenschaftlicher Steinbock- Jäger und sein bevorzugtes Jagdrevier war der heutige Nationalpark Gran Paradiso.
Plätze, an denen Monarchen ihre Freizeit verbringen, entwickeln sich in der Regel schnell auch zu Treffpunkten von Menschen, die von der naheliegenden Vermutung ausgehen, dass es da, wo es dem König gefällt, recht angenehm sein muss. Und weil der König nicht der einzige war, der mit Gewehr und Jagdhund durchs Gebirge zog, waren Anfang des 19. Jahrhunderts die Steinböcke im ganzen Alpenraum fast ganz verschwunden.
Den Jägern ging es neben den Trophäen ums Fleisch der Tiere aber auch um bestimmte Ingredienzien,die von der Volksmedizin gefordert wurden. Immerhin erhielt sich im italienischen Gran-Paradiso-Gebiet eine Restpopulation von ca. 100 Tieren. Der König erwarb ab 1856 Grundstücke im Gran-Paradiso-Gebiet, zunächst am Colle del Nivolet, dann in den umliegenden Tälern. In diesen Gebieten wurden Jagdhäuser errichtet und ein Jagdwegenetz von immerhin 340 Kilometer angelegt, die Höhen von über 3.000 Metern erschlossen. Investitionen, die wir als Besucher und Wanderer des Gebietes noch heute gerne nutzen. Dem Enkel des Jägerkönigs Vittorio Emanuele III. war die Anfahrt von Rom aus zu unbequem, er überschrieb das Jagdrevier dem Staat. 1922 wurde es zum Parco Nationale Gran Paradiso.
Anschließend hatte der Park eine schlimme Zeit zu überstehen. Zur Zeit Mussolinis wurden in dem Park Militärmanöver durchgeführt und die Steinböcke dienten wohl auch als Zielscheiben. Der Bestand, der bis dahin auf 3.800 Tiere angewachsenen war, wurde bis zum Ende des Krieges auf 400 Tiere dezimiert. So viel zur Entstehungsgeschichte des ersten italienischen Nationalparks, der gleichzeitig den höchsten Berg des Landes, den Gran Paradiso (4061m), umschließt. Um ganz genau zu sein: es handelt sich um den höchsten ganz auf dem Territorium Italiens gelegen Berg. Der Mont Blanc und weitere noch höhere Gipfel sind Grenzberge, die sich Italien mit Frankreich oder der Schweiz teilen muss.
Wir wollten uns ein Bild von dem Park machen und planten zwei Exkursionen. Eine, die als Auto-Exkursion angelegt war und uns den Park von Süden her erschließen sollte, und eine Halbtagswanderung, bei der wir den Nationalpark von einem nördlichen Zugang in Angriff nehmen wollten. Für die Unternehmungen wählten wir jeweils den Juni.
Der einzige südliche Zugang führt über das Valle di Locana. Nachdem wir uns in Ceresole Reale, am gleichnamigen See gelegen mit passendem Kartenmaterial und reichlich Proviant ausgestattet hatten, starteten wir Richtung Nivolet Hochebene. Über unzählige Kehren, vorbei an Stauseen, vorbei auch an der kleinen Kapelle Madonna delle Neve und einigen Naturseen erreichten wir schließlich auf der Nivolet- Hochebene einen Parkplatz, der auch gleichzeitig den Endpunkt für Besucher darstellt. Wir befinden uns auf etwa 2500 m. Weiter kann und muss man aber auch gar nicht fahren, denn auf beiden Seiten der Zufahrtstraße konnten wir in ein Blütenmeer eintauchen. Der Bergfrühling hatte mit einem farbenprächtigen Blütenmeer den Winter abgelöst. Die Alpen-Küchenschelle (Pulsatilla alpina) und Küpfers Hahnenfuß (Ranunculus kuepferi) besiedelten in großer Zahl die wärmeren Süd- bzw. Südwesthänge der Hochebene. Burnats Schöterich (Erysimum burnatii), Polsternelke (Silene exscapa) sowie die Mehl- Primel (Primula farinosa) komplettierten den Blütenreigen.
Natürlich kann man sich Tage in diesem Gebiet aufhalten, wir zogen aber schon bald etwas enttäuscht wieder ab. Waren unsere Erwartungen mit Blick auf die Blütensituation der Bergvegetation übertrieben oder hatte der ungünstige Witterungsverlauf im Frühling den Blütezeitpunkt verschoben? Wir wissen es nicht. Wir wissen aber, dass es für Pflanzenfreunde an diesem Tag wenig zu sehen gab. Ganz besonders die Foto- Ausbeute an Semperviven und Saxifragen enttäuschte. Lediglich die Großblütige Hauswurz (Sempervivum grandiflorum), allerdings in unterschiedlichen Variationen, und erstaunlich wenige Dach- Hauswurz (Sempervivum tectorum) bekamen wir vor die Kameralinse.